Ansicht 27 – Kampf um die Stadt

Kampf um Favoriten

Ein historischer Spaziergang durch Favoriten.
Mit Dr. Jens Wietschorke vom Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien.

Der Erste Spaziergang am 14.8.2015 mit Treffpunkt Columbusplatz, 17:00 Uhr organisiert von Arno RablsMitten in Favoriten“ war ein großartiger Erfolg. Trotz des heißesten Abend, es hatte gute 30° im Schatten, kamen über 30 interessierte Personen. Und ich bin fest überzeugt, dass keiner von diesen es bereut hat, daran teilgenommenen zu haben.

Kampf um Favoriten (3)

Nach kurzer Einführung über die geschichtliche Entwicklung des Bezirkes im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der Bezirk war ein Platz für politische Auseinandersetzungen, und an der Stadtentwicklung und Architektur des Bezirkes lässt sich dies gut darstellen.
Wir gingen über die Laxenburgerstraße zum Arbeiterheim Favoriten. Dieses Haus war einer der wichtigsten Kristallisationspunkte für die Entstehung der sozialistischen Bewegung in Österreich und spiegelt mit seinen Werdegang die Geschichte Österreichs wider.

Das Jugendstilhaus wurde von Arch. Hubert Gessner, einem Schüler von Otto Wagner, geplant und am 6. September 1902 feierlich eröffnet. Wir erfuhren auch, dass Dr. Adler den notwendigen Kredit zum Erwerb des Grundstückes und zum Bau des Hauses durch den Besitzer der Ottakringer Brauerei Moritz Kuffner bekam.

Aber das Arbeiterheim stand nicht immer unter einen guten Stern. So berichten die Zeitungen am 7. November 1902 Manipulation der Christlich-Sozialen Landtags-Stichwahl zwischen Dr. Adler und den „Christlichen“. Wien X., die Wache dringt in das Arbeiterheim Favoriten und haut mit blanker Waffe in die auf das Wahlresultat wartenden Menge ein. Resultat, 15 Schwerverletzte und eine große Anzahl an Leichtverletzten.

Im Februar 1934 wurde das Arbeiterheim von den Austrofaschisten besetzt Vertrauensmänner verhaftet, Kassen und Bücher beschlagnahmt. Und die zum Gedenken an die Bluttaufe von 1902 angebrachte Mauertafel herausgerissen und zertrümmert.

Im Jahre 1945 wurde das Haus von der russischen Besatzungsmacht besetzt und die Kommandantur für den 10. Bezirk untergebracht. Am Montag, den 13. August 1951 wurden dann dem sozialistischen Bezirksvorsteher WRBA von einem Offizier der Sowjets die Schlüssel des Arbeiterheimes übergeben.

Pressespiegel August 1983: „Abbruch bedroht das „Rote Haus“ von Favoriten“
„Statt Arbeiterheim Favoriten Shoppingcenter“ . Geht es nach den Mächtigen, dann wird in den nächsten Wochen ein Abbruchkommando in das Arbeiterheim Favoriten einziehen.

Eine Gruppe Wiener Sozialisten kämpfen jedoch für die Erhaltung dieses wichtigen Schauplatzes ihrer Bewegung. Ein Personenkomitee „ Rettet das Arbeiterheim Favoriten“ wurde gegründet.

Jetzt steht es wiederum leer! Und wartet auf ?

Zwei Häuser weiter gibt es an der Fassade ein Mosaik über die harte Arbeit der ZiegelarbeiterInnen, die erinnern sollen an die Ausbeutung der Ziegelarbeiter am Wienerberg.

Wir gingen dann weiter zur Keplerkirche und den Magistratischen Bezirksamt, wobei der rote Ziegelbau in seiner ganzen Pracht beeindruckte. Auch die Gegenüberstellung zwischen Kirche und Politik kam gut zum Ausdruck. Gleich Visavis der Zürcher Hof. Der Gemeindebau, der erst nach 1945 so benannt wurde und wo auch das erste Warenhaus GÖC untergebracht war.

Anschließend besichtigten wir das 1931 neuerbaute Postamtsgebäude in der Buchengasse und gingen dann weiter bis zum Antons Platz und besichtigten die Pfarrkirche des Hl. Anton von Padua.

Für das erweiterte Wien war es im Interesse der Seelsorge des Bürgertums notwendig eine neue Kirche zu erbauen. Im Jahre 1894 wurde der Referent in Kirchenbauangelegenheiten von St. Stephan Domprälat Karl Seidl beauftragt von der Begründung des Projektes bis zur Vollendung des Baues mitzuwirken. Baurat Franz Ritter von Neumann brachte den Vorschlag ein, diese Kirche in byzantinischen Stil nach dem Muster des St. Marcus Doms in Venedig zu errichten. Dem auf Kirchenbauten spezialisierte K.u.K Hofbaumeister Josef Schmalzhofer wurden sämtliche Baumeisterarbeiten übertragen. Und so konnte schon am 10. November 1896 im Beisein von Kaiser Franz Josef die Grundsteinlegung erfolgen. Die feierliche Einweihung dieser Kirche fand dann am Sonntag, den 10. November 1901 statt.

Dann ging es weiter zur letzten Station, zum Amalienbad.
Diese Badeanstalt wurde in den Jahren 1923 bis 1926 nach den Plänen der Architekten Karl Schmalhofer und Otto Nadel errichtet. Die Strukturen an den Fassaden schuf Karl Stemolka.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Bad schwer beschädigt. Und in den Jahren 1979 bis 1986 umfangreich generalsaniert.

„Das Amalienbad wird heute eröffnet“

So berichtete die Arbeiterzeitung vom 8. Juli 1926: Ein Bad für 1300 Badegäste. Die größte und modernste Sportschwimmhalle Europas. Mit einem 10 Meter Sprungturm, Gesundheitsbädern usw. Überflüssiger Luxus nennen es die Christlich-sozialen, und Verschwendung von Steuergelder, weil es vor allem Arbeitern zugutekommen soll. Am 8. Juni 1927 wurde bereits der Millionste Badegast erwartet. Den Namen „Amalienbad“ erhielt es nach der in Jahr 1924 verstorbenen Gemeinderätin Amalie Pölzer, geborene Baron. Bekannt war ihr Großvater, der als Ziegelarbeiter, Viktor Adler in die Wienerberger Ziegelwerke einschleuste. Dort verschaffte sich Adler ein Bild von der tristen Lage der Ziegelarbeiter welche er in einer aufrüttelnden Berichterstattung in der „Gleichheit“ publizierte.

Soweit der 1. Stadtspaziergang durch Favoriten und ich glaube in aller Namen der Teilnehmer sprechen zu dürfen, es war ein großartiger Erfolg und wir hoffen, das noch viele Stadtrundgänge folgen werden.

Kampf um Favoriten (2) Kampf um Favoriten (1)

Sehr erfreut grüßt euch,

Euer Baron Karl

Ansicht 26 – Gekommen um zu bleiben

Von Hietzing bis nach Favoriten

Seit 8 Jahren lebe ich nun in Wien und schon lange weiß ich, ich bin gekommen um zu bleiben.

Als ich vor 3 ½ Jahren von Hietzing nach Favoriten umgezogen bin, haben das viele Wiener Freunde nicht verstanden. „Wie kann man nur vom 13. In den 10. Bezirk übersiedeln?“ „Welch ein Abstieg!“ Eine Bekannte meinte halb tröstend, halb fragend: „… auch im 10. gibt es doch schöne Ecken!?“ Worauf ich antwortete: „Ja schon, aber da ziehen wir nicht hin :) !“

„Schön“ kann man die Troststraße wirklich nicht nennen, aber bunt, lebendig und sehr praktisch – all das, was ich in Hietzing vermisst habe. Von der Apotheke über Lebensmittelgeschäfte aller Art bis zu Bank und Post ist alles gleich ums Eck. Die Menschen, denen man in der Tram und auf der Straße begegnet, haben unterschiedlichste Hautfarben und tragen verschiedenartige Kleidung. Komplett verhüllt existiert hier neben Hotpants. Vom grün gefärbten Sidecut der Studentin bis zum Patka der kleinen Sikh-Buben sind alle möglichen Haartrachten und Kopfbedeckungen zu bewundern. Auch sprachlich ist Favoriten sehr bunt. Neben breitem Wienerisch sind Türkisch, Arabisch, Serbisch zu hören und alle möglichen Sprachen die ich nicht zuordnen kann. Da falle ich mit meinem hochdeutschen Akzent, den ich auch nach 8 Jahren nicht verbergen kann, nicht weiter auf. Und auch mit meiner Affinität zum Nahen Osten, wo ich 2 Jahre gelebt habe, fühle ich mich hier sehr zu Hause.
Die Verkehrsanbindung zu meinem Arbeitsplatz und zur Innenstadt ist viel besser als im 13. Bezirk. Wir haben hier unser Auto abgeschafft und leihen uns eins bei Bedarf. Und wenn ich Lust auf Natur haben ist der Wienerberg nicht weit. Auch die GB*10, die Anker-Brotfabrik und die vielen Kunst- und Nachbarschaftsinitiativen machen das Leben in Favoriten für mich lebenswert.

Also ist alles perfekt, so wie es ist?

Nicht ganz! Ein paar Wünsche bleiben noch offen: 
Ich wünschte mir, dass Mitbewohner, die ausziehen, nicht so oft ihre alten Matratzen, kaputten Kühlschränke und zerschlissenen Sessel in unserem Hinterhof vergessen würden…

Ich wünschte mir, dass es in der Fahrradweg-Wüste Favoriten nicht so gefährlich wäre mit dem Rad zu fahren und die nächste Citybike-Station nicht erst am Hauptbahnhof wäre…

Ich wünschte mir, dass es weniger leer stehende Gassenlokale gäbe und dass sie nicht so oft von Wettbüros und Handyläden, sondern mehr von netten Geschäften mit unterschiedlichstem Angebot bezogen würden…

Ich bin zuversichtlich! :)

Rita Kämmerer mitten in FavoritenRita Kämmerer

Vielen Dank, liebe Rita, für deine tollen Eindrücke an und aus Favoriten.

Euer Baron Karl