Ansicht 18 – 2015 – Baron Karl

Hallo da bin ich wieder – Ihr Baron Karl!

Heute ist Samstag, der 6. April 1930 ein Sauwetter es schütt wie mit Schaffeln, am liabsten wär ich nicht außegreut aus mein Nischerl…
Aber heute ist Eröffnung der neuen Wohnhausanlage oben bei der „Spinnerin am Kreuz“. „Georg Washington Hof“ nennen sie ihn. Des wor so a ehemaliger Präsident aus Amerika, kanne Zähnt im Mund und bei die „Freimaurer soll er auch gewesen sein. Is ma a Wurscht, vielleicht war er a leiwander Haberer, (guter Mann) ich weiß es nicht, ich nehm´s aber an, weil sonst hätten´s ihm net gewählt. Die Wohnhausanlage, bei der Spinnerin am Kreuz, haben sie genau dort hin gebaut wo die Hinrichtungsstätte war, und wo sie die Toten gleich begraben haben. Früher wie ich noch ein Kind war, sind wir dort vorbei geschlichen, weil wir eine Angst gehabt haben. Ich hab gehört wie sie die Keller ausgehoben haben, da sind sie auf die Gebeine der Hingerichteten gestoßen, die sie dann irgendwo entsorgt haben.
Diese riesige Wohnhausanlage, die von den beiden Architekten Robert OELY und Karl KRIST entworfen und gebaut wurde ist einmalig, und Riesen groß die geht vom Favoriten bis nach Meidling hinein. Man muss sich vorstellen, die alten Zinskasernen die es überwiegend in unsern Bezirk gibt, die sind großteils noch alle mit Wasser und Klo am Gang für 5 bis 10 und oft mehr Mieter. Und jeder dieser Mieter ist zum Reinigen der WC-Anlagen eingeteilt. Fenster in den Wohnungen gibt großteils auch nicht. Nur neben der Eingangstüre, ein kleines Fenster am Gang. Und für diese Löcher von Wohnungen, verlangt der Hausherr noch horrende Mieten. In dieser neuen Anlage sind die Wohnungen mit Wasser und Toiletten in den Wohnungen, großteils auch mit Balkon oder Terrassen. Eine eigene Zentralwaschküche und so weiter. Das die Leute begeistert und dankbar sind, wenn sie so eine Wohnung zugewiesen bekommen, ist verständlich.
Tausende strömen deshalb schon seit den Morgenstunden in die riesige Wohnhausanlage. Alle Höfe in der Anlage haben einen Namen nach einen Baum oder Strauch so gibt es einen Birken Hof, Flieder Hof, Ahorn Hof, Ulmen Hof, Akazien Hof und Eschen Hof und überall Fahnen, Blumen, Lampion´s, Transparente. Zwischen den Häuserzeilen jedes Hofes Alleen, die selbst bei den Regenschauern ein Bild bieten, wie es schöner auch in den größten Wiener Parkanlagen nicht zu finden ist. Die Eröffnung findet im Ahorner Hof statt, die Straßenbahner Musik Kapelle spielt bereits einen schwungvollen Marsch. Und der „Arbeiterradiobund“ besorgt die Übertragung mittels Lautsprecher, die überall montiert sind.

Kurz vor halb elf Uhr war es, als der Bürgermeister SEITZ und die übrigen Festgäste, von unendlichem Jubel begrüßt, eintrafen. Sie haben auch allen Grund, Festfreude zu empfinden. Die Gemeinde Wien hat in den letzten Jahren gewiss eine Reihe von Bauwerken errichtet, die nicht nur als soziale Leistung in die Geschichte eingehen werden. Der Stadtrat WEBER begrüßte die erschienenen Gäste, dann lud der Mietervertrauensmann der Gesamtanlage den Bürgermeister ein, die offizielle Eröffnung vorzunehmen. Bürgermeister „SEITZ“ dankte zuerst den Stadträten WEBER und BREITNER. Wenn heute die Feinde BREITNER´S „ABZUG BREITNER“ schreien, so rufen wir freudigen Herzens „HOCH BREITNER“!!
(Brausender Beifall, immer wieder stürmische Zurufe)
Wer in fünfzig Jahren auf die heutige Zeit zurückschauen wird, wird nichts mehr wahrnehmen von den Feinden BREITNER´S, aber diese Häuser werden stehen und aufrecht stehen werden noch die Jungen, die hier aufgewachsen sind. Sie werden ihm danken, dem Manne, der zur richtigen Zeit, also historisch richtig, an den Aufbau neuer gesunder Wohnstätten schaffte.
(Stürmischer Beifall)
Ich will jetzt nicht die ganze Rede vom Bürgermeister wiedergeben. Aber wie ich dann später in an Papierkorb die Arbeiterzeitung vom 7.April 1930 gefunden habe. Habe ich gelesen, dass am selben Tag, wo die Eröffnung vom „Washington“Hof war, also zum gleichen Zeitpunkt, am Ring die Hausherrn gegen die „Wohnbausteuer“ demonstriert haben. Die Hausherrn wollten, dass der soziale Wohnbau verhindert wird. Das die Arbeiter in den heruntergekommenen Mietskasernen, weiterhin teuren Mietzins bezahlen müssen.

Nach der Besichtigung der Gartenstadt, sind die Festgäste, auch in die Siedlung am Wasserturm gegangen, wo durch die „Heimbeihilfe“ der Gemeinde Wien von der „Gesiba“ 190 Einfamilienhäuser errichtet wurden. Ja, wenn das so weitergeht wird bald der ganze Bezirk zugebaut sein. Aber für mich wird es schon irgendwo ein Platzer´l geben wo i meine alten Knochen ausstrecken kann.

Wenn euch mein Bericht gefallen hat schreibt mir. Vielleicht erzähl ich euch noch von der Eröffnung des Amalienbades, dort war ich nämlich auch dabei.

Es grüßt Euch
Baron Karl